von Katrin Prinzen
Umfragen bieten für Wissenschaftler, Unternehmen, Politiker und andere Organisationen eine gute Möglichkeit zu erfahren, was die Bevölkerung über ein bestimmtes Thema denkt. Dabei werden die Befragten meist gebeten, ihre Meinung auf einer Skala anzugeben. Diese beinhaltet in der Regel zwei Endpunkte, wie beispielsweise „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ mit dazwischen liegenden Abstufungen. Die Auswertungen dieser Umfragen lassen dann erkennen, wie viele Menschen das Thema sehr gut, eher gut, eher schlecht oder sehr schlecht bewerten.
Da diese Umfragen die Antwortoptionen vorgeben, müssen Befragte ihre Meinung in diese Vorgaben „einpassen“. In einer Studie mit Achim Goerres haben wir jedoch gezeigt, dass Befragte eine Antwortoption wählen, auch wenn diese nicht eindeutig ihrer Meinung entspricht. Dies war der Fall bei ambivalenten Einstellungen, also Einstellungen, die gleichzeitig positiv und negativ sind und somit gegensätzliche Bewertungen beinhalten. Da die Skala der Umfrage nur die Bewertungen „sehr gut“, „sehr schlecht“ oder Abstufungen dazwischen zulässt, werden ambivalente Einstellungen in diesen Befragungen nicht erfasst. Mit anderen Worten: Die Skala misst nur univalente Einstellungen, also solche, die entweder eindeutig positiv oder eindeutig negativ sind. Ambivalente Einstellungen, die gleichzeitig positive und negative Bewertungen beinhalten, kann die Skala nicht messen.
In einer anderen Studie habe ich repräsentative Umfragedaten auf ambivalente Einstellungen hin untersucht. Diese Umfrage hat positive und negative Bewertungen einzeln abgefragt und bot damit eine seltene Möglichkeit, die Häufigkeit univalenter und ambivalenter Einstellungen zu berechnen. Inhaltlich ging es um die Einstellungen der erwerbstätigen Bevölkerung gegenüber den älteren Menschen in der Gesellschaft. Meine Ergebnisse zeigen, dass über die Hälfte der Befragten eine nicht-ambivalente (also eine univalente) Einstellung hat. Jedoch haben 34 % der Befragten eine schwach ambivalente bis sehr stark ambivalente Einstellung. Betrachtet man nur solche mit einer starken oder sehr starken ambivalenten Einstellung, haben immerhin noch 15 % der Befragten gleichzeitig positive und negative Einstellungen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Prozentuale Verteilung von univalenten und ambivalenten Einstellungen der Erwerbstätigen gegenüber den älteren Menschen in der Gesellschaft
Anmerkungen: Eine univalente Einstellung bedeutet, dass der Befragte die älteren Menschen in der Gesellschaft entweder nur positiv oder nur negativ bewertet hat. Eine ambivalente Einstellung bedeutet, dass der Befragte die älteren Menschen in der Gesellschaft gleichzeitig positiv und negativ bewertet hat. Eigene Berechnung mit einer Formel von Thompson, Zanna und Griffin (1995) mit Daten der „International Population Policy Acceptance Study“ 2003 (Gesis Datenarchiv ZA 4653). Gruppiert und Prozentangaben gerundet. Dargestellt sind die Einstellungen der deutschen Befragten, die Erwerbseinkommen als Haupteinkommensquelle des Haushalts angaben (n = 2.847) (siehe auch Prinzen 2014).
Das Ergebnis ist wichtig, weil bisherige Studien (meist implizit) davon ausgingen, dass diese Einstellungen univalent sind. Die dargestellten Ergebnisse legen aber nahe, dass viele Menschen keine alleinig positive oder alleinig negative Einstellung haben, sondern beide Bewertungen gleichzeitig für sie relevant sind.
Die empirische Evidenz für ambivalente Einstellungen scheint also gegeben zu sein. Warum sollten uns diese Einstellungen aber interessieren? Dazu kann man sich überlegen, was ein Umfrageergebnis aussagt, das lediglich eine univalente Einstellung erhebt und die Möglichkeit ambivalenter Einstellungen ausblendet. Zunächst lässt sich anzweifeln, dass dieses Ergebnis der sozialen Realität entspricht. Wegen der nicht-validen Messung bleibt ein unbekannter Anteil von ambivalenten Einstellungen unsichtbar. Zugespitzt kann man sagen, dass die Umfrage ihr Ziel, die Meinung der Bevölkerung zu erfassen, also nicht erreicht hat. Weiterhin sind Schlussfolgerungen aus diesem Umfrageergebnis zweifelhaft. Es liegt auf der Hand, dass beispielsweise eine Politikerin im Wahlkampf andere Strategien wählen sollte, wenn ein großer Teil der Bevölkerung eine (univalente) positive Einstellung zu ihr hat, als wenn ein großer Teil der Bevölkerung ambivalente Einstellungen zu ihr hat.
Nur wenn Umfragen den Befragten also die Möglichkeit geben, ambivalente Einstellungen anzugeben, können diese auch erfasst werden. Umfragen sollten auch ambivalente Einstellungen erfassen. Denn nur so können Wissenschaftler, Unternehmen, Politiker und andere Organisationen erfahren, was die Bevölkerung über ein bestimmtes Thema wirklich denkt.
Verwendete Quellen
Goerres, Achim; Prinzen, Katrin (2012). Can We Improve the Measurement of Attitudes Towards the Welfare State? A Constructive Critique of Survey Instruments with Evidence from Focus Groups, in: Social Indicators Research 109: 515–534. http://dx.doi.org/10.1007/s11205-011-9915-5
Kaplan, K. J. (1972). On the Ambivalence-indifference Problem in Attitude Theory and Measurement: A Suggested Modification of the Semantic Differential Technique, in: Psychological Bulletin 77: 361-372.
Prinzen, Katrin (2014): Intergenerational Ambivalence: New Perspectives on Intergenerational Relationships in the German Welfare State, in: Ageing & Society, 34: 428-451. http://dx.doi.org/10.1017/S0144686X12001080
Thompson, Megan; Zanna, Mark P; Griffin, Dale W (1995): Let’s Not Be Indifferent About (Attitudinal) Ambivalence, in: Richard E. Petty; Jon A. Krosnick (Hrsg.): Attitude Strength: Antecedents and Consequences, Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum, 361-386.