von Gastautor Daniel Houben
Seit einigen Jahren beraten und entscheiden extern besetzte Hochschulräte an deutschen Universitäten. Damit sollte die staatliche Detailsteuerung beendet werden und ein Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft einfacher werden. Ein näherer Blick auf die Mitglieder der Gremien zeigt jedoch, dass sich hier Netzwerke bilden, die keinesfalls den Anspruch erheben können, gesellschaftlich repräsentativ zu sein.
Hochschulräte sind in Deutschland ein relativ junges Phänomen. Sie sind im Zuge von Reformmaßnahmen entstanden, die sich hinter den Labels „unternehmerische Universität“ oder New Public Management verbergen. Die Grundidee ist einfach: Der Staat zieht sich aus der hochschulpolitischen Detailsteuerung zurück; stattdessen entscheidet ein Gremium besetzt mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen. Diese Hochschulräte sollen dabei ähnlich wie Aufsichtsräte in Firmen dafür sorgen, dass die Hochschulen ihre gesellschaftlichen Aufgaben nicht aus den Augen verlieren. Zwar haben sich mittlerweile in fast allen Bundesländern Hochschulräte in verschiedenen Variationen etabliert, ihre politische Bewertung bleibt jedoch umstritten.
In einer ersten Erhebung haben wir die Informationen zur Hochschulratsmitgliedern, den Organisationen aus denen diese kommen und den jeweiligen Universitäten in Beziehung zueinander gesetzt. Uns interessierte also nicht nur die Frage, „Wer sitzt da eigentlich drin?“, sondern vor allem „Wer mit wem (und warum)?“ Unsere Erhebung bezog sich auf die öffentlich zugänglichen Daten über Hochschulräte deutscher staatlicher Universitäten im Frühjahr 2013. Seitens der Hochschulratsmitglieder erhoben wir Beruf sowie Organisationszugehörigkeiten und seitens der Universitäten konzentrierten wir uns auf Kenndaten öffentlicher Quellen (statistische Landes- und Bundesämter, DFG-Förderatlas).
Insgesamt konnten Daten für 63 von 72 Universitäten aus elf Bundesländern genutzt werden. Die Größe der betrachteten Hochschulräte variiert von fünf bis zu elf Mitgliedern (Modus: 8). 132 von 540 ausgewerteten Hochschulratsmandaten wurden universitätsintern besetzt. Die vertretenen Sektoren umfassen in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Recht & Verwaltung, Kunst & Kultur, Presse & Medien, Stiftungen & NGO und freie Berufe (siehe Tabelle unten), wobei in allen Hochschulräten wenigstens drei verschiedene Sektoren vertreten sind.
Kleine Typologie der deutschen Hochschulratslandschaft
Über clusteranalytische Verfahren lassen sich in der universitätsspezifischen Zusammensetzung der Hochschulräte deutliche Homophiliemuster ausmachen. Universitäten mit hoher Reputation und hohem Drittmittelaufkommen lotsen bekannte Politiker/innen oder Vertreter/innen großer Konzerne in ihre Hochschulräte, während kleine Universitäten sich eher lokal ausrichten oder sich Persönlichkeiten großer Universitäten in den Hochschulrat holen. Die Hochschulen können statistisch in drei Gruppen aufgeteilt werden:
In Gruppe A finden sich die großen technischen Universitäten mit internationaler Ausrichtung. Sie gelten als prestigereich und verfügen über ein hohes Drittmittelaufkommen in den MINT-Fächern. Hier finden sich auch alle Universitäten des TU 9-Verbundes. In ihren Hochschulräten finden sich Vertreter/innen (meist Vorstände) bedeutsamer und starker Unternehmen, wenigstens regional einflussreiche Politiker/innen sowie Personen, die im Wissenschaftssektor zentrale Positionen besetzen.
Der Gruppe B gehören relativ große Universitäten an, die sich im Wettbewerb eher auf Deutschland konzentrieren und vor allem in Geistes- und Naturwissenschaften über Prestige verfügen. Ihr Drittmittelaufkommen ist mittelmäßig bis hoch. Hier finden sich alle Universitäten des U15 Verbunds. In ihren Hochschulräten sind bevorzugt wichtige regionale Arbeitgeber, zum Profil passende prestigereiche Wissenschaftler/innen sowie Personen aus dem überlokalen Politik-, Medien oder Kulturbetrieb Mitglied.
In der Gruppe C schließlich fassten wir die vergleichsweise kleinen, eher regional ausgerichteten Universitäten zusammen, die über mittlere bis geringe Drittmittel verfügen. In ihren Hochschulräten finden sich bedeutsame lokale Arbeitgeber/innen oder Mäzene, regionale und lokale Politiker/innen, Wissenschaftler/innen großer Universitäten und eigene Absolvent/innen ohne unmittelbar erkennbaren Organisationszusammenhang.
Strategische Allianzen durch organisationales Sozialkapital
Was die Idee einer gesellschaftlichen Repräsentation angeht, ist die Zusammensetzung der Hochschulräte nicht sehr gut gelungen. Mehr als die Hälfte aller Mitglieder kommt aus der Wissenschaft, ein Drittel entstammt der Wirtschaft und die Politik folgt mit gut acht Prozent auf Platz drei (siehe Tabelle unten). Zwar lässt sich bzgl. der Regulierung und formalen Anforderungen für Hochschulräte der angesichts des Föderalismus erwartete Flickenteppich finden, gleich ist aber, dass alle berücksichtigten Hochschulratsmitglieder von den Universitäten selbst ausgewählt wurden. Auf dieser Ebene lassen sich damit wenig Belege dafür finden, dass ein Transport gesellschaftlicher Ansprüche durch die Hochschulräte in die Universitäten gelingt. Vielmehr dominieren hier ebenfalls Wissenschaftler/innen.
Wenn die gesellschaftliche Repräsentation in den Hochschulräten nicht vorzufinden ist, stellt sich die Frage, ob stattdessen eine andere Logik identifiziert werden kann. Unsere Daten sprechen dafür, dass Hochschulräte für die Universitäten und die entsendenden Organisationen einerseits sowie für die individuellen Mitglieder der Hochschulräte selbst andererseits als Gelegenheitsstrukturen strategischer Allianzen verstanden werden müssen. Zweck solcher Arrangements ist es, organisatorische Ziele und Wettbewerbsvorteile durch wechselseitige Kooperation zu erreichen. Die über Hochschulräte entstehenden Netzwerke können als Sozialkapital von Organisationen verstanden werden, welches den individuellen und kollektiven Zielen der beteiligten Partner dient. Diese Netzwerke können Sozialkapital in Form von Reputation und Status erzeugen und darüber ihr eigenes Prestige erhöhen. Die hohe Korrespondenz in Reputation und sektoraler Bedeutung zwischen Hochschulratsmitgliedern und Universitäten ist ein klares Indiz für entsprechende strategische Kalküle. Dieser Befund stellt das ursprüngliche hochschulpolitische Regulierungsziel, die Anbindung der Hochschulen an gesellschaftliche Fragen, massiv infrage.
Literatur
Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2012: DFG-Förderatlas.
Lange, Stefan und Uwe Schimank, 2004: Einleitung. Governance und gesellschaftliche Integration. S. 9 – 44 in: dies. (Hrsg.): Governance und gesellschaftliche Integration. Wiesbaden: VS-Verlag.
Lange, Stefan und Uwe Schimank, 2007: Zwischen Konvergenz und Pfadabhängigkeit: New Public Management in den Hochschulsystemen fünf ausgewählter OECD-Länder. S. 522 – 548 in: Holzinger, Katahrina und Helge Jörges und Christoph Knill (Hrsg.): Transfer, Diffusion und Konvergenz von Politiken. Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 28/2007. Wiesbaden: VS-Verlag.
Lange, Stefan, 2010: Hochschulräte. S. 347-360 in: Simon, Dagmar und Andreas Knie und Stefan Hornborstel (Hrsg.): Handbuch Wissenschaftspolitik. Wiesbaden: VS-Verlag.
Todvera, Emanuela und David Knocke, 2002: Strategische Allianzen und das Sozialkapital von Unternehmen. S. 345 – 380 in: Allmendinger, Jutta und Thomas Hinz (Hrsg.): Organisationssoziologie. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 42. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Der zentrale Punkt, auf den die These von den „strategischen Allianzen“ gestützt wird, besteht in der Aussage, dass sich in der Zusammensetzung der Hochschulräte „deutliche Homophiliemuster ausmachen“ ließen und somit eine „gesellschaftliche Repräsentation in den Hochschulräten nicht vorzufinden“ sei. Die empirischen Belege hierfür sind plausibel, wenn auch nicht wirklich überraschend. Sie reihen sich ein in frühere Untersuchungen von z.B. Nienhüser/Jacob (2008) oder Gerber, Bogumil u.a. (2009).
Vielleicht schon eher überraschend ist die Gegenüberstellung von Repräsentanz und Homophile. Houben identifiziert als Ursache für das Entstehen der Hochschulräte das New Public Management. In der Gedankenwelt dieses Verwaltungsansatzes mit seiner Principal/Agent Logik mag zwar die Idee vorherrschen, dass die Hochschule als Agent durch die Gesellschaft als Prinzipal „gesteuert“ werden könne, es handelt sich dabei ja schließlich um eine „Neues Steuerungsmodell“. Dann wäre in der Tat der Hochschulrat der Ort, an dem die Repräsentanten des Prinzipals den Agenten „steuern“. Die Idee von Hochschulräten ist aber wesentlich älter als das New Public Management. Sie findet sich schon in dem „Kreuznacher Hochschulkonzept“ der Bundesassistentenkonferenz (1968) und dem „Blauen Gutachten“ (1948) der britischen Besatzungsmacht. Sie war dabei nicht nur mit dem Gedanken gesellschaftlicher Verantwortung, sondern auch dem der Selbststeuerung von Hochschulen verbunden. Sie beruhte also auch auf der Erkenntnis, dass gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaft nicht gegen deren Eigenlogik durchgesetzt, sondern durch die Hochschulen selber hergestellt werden müsse. In einer solchen Perspektive ist eine Stärkung gesellschaftlicher Verantwortung durchaus mit Homophilie vereinbar. In Hochschulräten ist dann zwar „die Gesellschaft“ vertreten, aber eine durch die Hochschulen selbst bestimmte Gesellschaft. Es geht dann nicht wie etwa bei Rundfunkräten um gesellschaftliche Interessengruppen mit Kirchen, Sportverbänden, politischen Freundeskreisen und Tarifpartnern, sondern um Einzelpersönlichkeiten und deren persönliche Kompetenzen (so auch Gerber, Bogumil 2009, S. 93). In einer solchen Perspektive wären Homophilie und strategische Allianzen mit Repräsentanz der Gesellschaft vereinbar, die Frage ist aber, welche Gesellschaft dabei repräsentiert wird. Das scheint aber ziemlich genau das zu sein, was Houben in seiner Untersuchung ermittelt.
Noch eine Beobachtung: Man mag seine Zweifel haben, ob Hochschulräte tatsächlich leiten oder nicht eher eine einzige große „Modernisierungsfassade“ darstellen, deren Haupteffekt darin besteht, innerhalb der Hochschulen die Macht der Rektorate zu stärken. Wie wirkmächtig sie aber in der gesellschaftlichen Umwelt der Hochschulen bereits sind, lässt sich derzeit in NRW beobachten, wo sie ein wesentlicher Akteur in dem Widerstand gegen die Regierungspläne für ein neues Hochschulgesetz sind. Auch dies ist ein Beleg für die These von den „Strategischen Allianzen“, die sich als interessanter Ausgangspunkt für weitere empirische Untersuchungen zu erweisen scheint.