Von Jakob Schuchardt
Jakob Schuchardt erwarb seinen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Seine Abschlussarbeit schrieb er am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft bei Prof. Dr. Achim Goerres. In diesem Blogbeitrag diskutiert er die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit.
„When only part of the people participate, the government is likely to be directed so as to violate the interests of the nonparticipators.“
So beschreibt Lester W. Milbrath (1972: S.142) ein zentrales Problem der politischen Partizipation. Wer innerhalb eines demokratischen Systems nicht partizipiert, dessen Interessen werden unter Umständen von den Regierenden übergangen. Ausgehend von dieser Problemstellung bildete sich in der Politikwissenschaft ein breiter Forschungsstrang zur Partizipation heraus. Einen vielbeachteten Ansatz zur Erklärung des Partizipationsverhaltens stellt das Ressourcenmodell politischer Partizipation von Henry E. Brady, Sidney Verba und Kay Lehman Schlozman (1995) dar, welches auf der Betrachtung der individuellen Ressourcen Zeit, Geld und bürgerlichen Fähigkeiten fußt.
Ziel des 1995 entworfenen Ressourcenmodells war es, die politische Partizipation in der amerikanischen Gesellschaft auf Basis der verfügbaren Ressourcen des Individuums zu erklären. Ausgangspunkt für die Forscher war der sozioökonomische Status (eng.: SES – socioeconomic status), der vor allem auf Bildung, Einkommen und Beruf der Individuen basiert. Dieser Statusbegriff kann verstanden werden als „Bündelung mehrerer Merkmale, um die Platzierung in der gesellschaftlichen Hierarchie zu bestimmen“ (Ditton und Maaz 2015: S.229). Bekannte Ansätze, die auf einer früheren Form des SES basieren, sind beispielsweise die Klassenmodelle von Karl Marx und Max Weber oder Schichtungstheorien, wie etwa von Ralf Dahrendorf (ebd.: S.229-230). Das Ressourcenmodell knüpft daran an und verlinkt dreierlei verschiedene Formen von Ressourcen mit dem SES: Zeit, Geld und bürgerliche Fähigkeiten. Die Verlinkung verläuft da-bei in zwei Richtungen, einerseits rückwirkend zum Ausgangspunkt, da beispielsweise Ein-kommen in Form des verfügbaren Geldes auch ein elementarer Bestandteil des SES ist und andererseits einen Schritt weitergehend, indem der Effekt individueller Ressourcen auf die Partizi-pationsart geschätzt wird. Insgesamt kann der Ressourcenansatz als Zusammenspiel aus zwei Theorieschulen verstanden werden, der soziologische Schichtungstheorien mit wirtschaftswissenschaftlichen Rational-Choice Theorien verbindet.
Das Ressourcenmodell wurde dann um Kontextmerkmale erweitert. Die Merkmale einer einzelnen Person nicht losgelöst vom Kontext zu betrachten, ist keine gänzlich neue Idee und wurde schon in anderen Publikationen thematisiert:
„Für die Einstellungen der Bürger gegenüber Politik und Demokratie – ihre Wahrnehmung der politischen Wirklichkeit, ihre Bewertung und Verhaltensabsichten – scheinen neben individuellen Merkmalen insbesondere (a) die lokalpolitischen Verhältnisse, (b) die lokale Gesellschaft und (c) die lokalen Wirtschaftsbedingungen wichtig zu sein“ (van Deth u. Tausendpfund 2013: S.12).
In methodischer Hinsicht wurde das ursprüngliche Modell auf den ALLBUS 2014 (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften) übertragen und für die verfügbaren Variablen angepasst. Abbildung 1 modelliert dabei das neu operationalisierte Ressourcenmodell.
Neben den Informationen aus dem ALLBUS wurden in der Arbeit außerdem Regionaldaten verwendet, die auf dem Regionalstatistischen Datenkatalog und dem Regio-Stat-Sonderprogramm der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder beruhen. Die Benutzung dieser Daten ist kostenfrei und online abrufbar (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2018).
Zur Verbindung des selbsterstellten Datensatzes auf Kreisebene mit dem ALLBUS war der Zugriff auf den Amtlichen Gemeindeschlüssel von Nöten, der unter den Datenschutz der sensitiven Regionaldaten fällt. Der ALLBUS-Datensatz mit dem Amtlichen Gemeindeschlüssel ist im Secure Data Center (SDC) beim GESIS Datenarchiv für Sozialwissenschaften in Köln zugänglich. Um Zugang zu den Daten zu erhalten, sind Forscher verpflichtet einen speziellen Datennut-zungsvertrag zu unterzeichnen und in einer individuell eingerichteten sicheren, virtuellen Arbeitsumgebung zu arbeiten. Ein Großteil der Ergebnisse dieses Beitrages, sowie der zu Grunde liegenden Abschlussarbeit, ist daher nur in Zusammenarbeit mit dem SDC replizierbar.
Im Vordergrund der Analyse stand die Partizipation an Demonstrationen, wobei die Partizipationsform als abhängige Variable in einer logistischen Regression fungiert. Auf Grundlage der Regressionsanalyse lässt sich erkennen, dass die individuelle Ausstattung der Ressourcen entscheidender für die politische Partizipation ist, als die Einbettung in den lokalen Kontext.
In der nachfolgenden Abbildung 2 finden sich die Ergebnisse von drei logistischen Regressionen. Das Ressourcenmodell umfasst dabei lediglich jene Variablen, die auf das ursprüngliche Modell von Verba et al. zurückgehen. Das Kreisebenenmodell bildet einen Teil des lokalen Kontextes der Individuen ab, während das Gesamtmodell beide vorherigen Modelle miteinander verbindet.
Die Effektstärken der einzelnen unabhängigen Variablen können anhand von Odds-Ratio-Werten (ORs) beschrieben werden. Dabei wird ersichtlich, dass sich innerhalb des Ressour-cenmodells ein signifikanter Effekt der Bildungsjahre ergibt. Dieser ist so zu interpretieren, dass die Wahrscheinlichkeit zur Beteiligung an Demonstrationen, für die Befragten innerhalb der Grundgesamtheit des ALLBUS, mit jedem Bildungsjahr im Schnitt um den Faktor 1,272 steigt. Vergleicht man nun Befragte, die Abitur besitzen mit jenen Befragten, die einen Bachelorab-schluss besitzen, so ergibt sich, bei einer zu Grunde liegenden Regelstudienzeit von 3 Jahren, eine um den Faktor 2,058 (1,2723) erhöhte Wahrscheinlichkeit für Bachelorabsolventen gegenüber Abiturienten an Demonstrationen teilzunehmen.
Ähnlich wie bei diesem Beispiel angeführt, lassen sich alle anderen Odds-Werte interpretieren. Bei vorliegender Dummy-Kodierung müssen die Werte allerdings in Bezug zur Referenzkategorie betrachtet werden. ORs unter 1 drücken einen negativen Zusammenhang aus, bei dem es sich zur besseren Vergleichbarkeit mit positiven Werten anbietet, den Kehrwert zu bilden.
Bei der Betrachtung des Modellfit-Blocks wird ersichtlich, dass das angepasste Pseudo-R² zu-nächst darauf hindeutet, dass es sich lohnt, die Kontextvariablen mit aufzunehmen, da der Wert für das Gesamtmodell am höchsten ist. Dieser Befund findet zwar durch den geringer werdenden AIC-Wert Bestätigung, der BIC-Wert steigt allerdings und unterstützt die vorherigen Be-funde daher nicht. Das alleinstehende Kreisebenmodell hat nur eine sehr geringe Erklärungskraft. Insgesamt lässt sich daraus schließen, dass die individuellen Ressourcen im Schnitt einen größeren Einfluss auf die Partizipation an Demonstrationen haben, als die lokale Einbettung. Unter Berücksichtigung von Sparsamkeit und Reichweite einer Theorie scheint es bei den vorliegenden Daten aber ratsam, das Ressourcenmodell als robust gegenüber einer Hinzunahme von Kontextdaten auf Kreisebene zu bezeichnen.
Referenzen:
Ditton, Hartmut; Maaz, Kai (2015):VIII-4 Sozioökonomischer Status und soziale Ungleich- heit. In: Heinz Reinders, Hartmut Ditton, Cornelia Gräsel und Burkhard Gniewosz [Hrsg.] (2015): Empirische Bildungsforschung. Wiesbaden, S. 229–244.
GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (2015):Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2014. GESIS Datenarchiv, Köln. ZA5240 Datenfile Version 2.1.0, doi:10.4232/1.12288.
GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (2017):Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS Sensitive Regionaldaten. GESIS Datenarchiv, Köln. ZA5260 Datenfile Version 3.0.0, doi: 10.4232/1.12928.
Milbrath, Lester W. (1972):Political Participation. How and why do people get involved in politics? 6. pr. Rand Mac Nally political science series. Chicago.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2017a):Arbeitslose nach ausgewählten Personengruppen. Jahresdurchschnitt – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte 2014. Quelle: Arbeitsmarkstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA). Abrufbar unter:https://www.regionalstatistik.de/genesis/online/data;jsessionid=9E0E990893EB21EF671D6509BF73AB7E.reg1?operation=abruftabellenVerzeichnis, Stand: 13.11.2017.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2017b): Bevölkerungsstand: Bevölkerung nach Geschlecht, Nationalität und Altersgruppen (21). Stichtag 31.12. (ab 2011) regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte 2014. Abrufbar unter:https://www.regionalstatistik.de/genesis/online/data;jsessionid=9E0E990893EB21EF671D6509BF73AB7E.reg1?operation=abruftabellenVerzeichnis, Stand: 13.11.2017.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2017c): Allgemeinbildende Schulen: Absol-venten/Abgänger nach dem Schulabschluss – Schuljahr – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte 2014. Abrufbar unter: https://www.regionalstatistik.de/genesis/online/data;jsessionid=9E0E990893EB21EF671D6509BF73AB7E.reg1?operation=abruftabellenVerzeichnis, Stand:13.11.2017.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2017d): Bundestagswahl: Wahlberechtigte und -beteiligung, Gültige Zweitstimmen nach Parteien regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte 2013. Abrufbar unter: https://www.regionalstatistik.de/genesis/online/data;jsessionid=9E0E990893EB21EF671D6509BF73AB7E.reg1?operation=abruftabellenVerzeichnis, Stand: 19.12.2017.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2017e): Bruttoinlandsprodukt/Bruttowertschöpfung (WZ 2008). Jahressumme – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte 2014. Berechnungsstand des Statistischen Bundesamtes: August 2015. Quelle: Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“. Abrufbar unter: https://www.regionalstatistik.de/genesis/online/data;jsessionid=9E0E990893EB21EF671D6509BF73AB7E.reg1?operation=abruftabellenVerzeichnis, Stand: 13.11.2017.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2018):Regionaldatenbank Deutschland – Startseite. Abrufbar unter: https://www.regionalstatistik.de/genesis/online;jsessionid=05E6E6270316B5C7BCA432DD1D5F40BE.reg1?Menu=Willkommen, Stand 13.05.2018.
van Deth, Jan W.; Tausendpfund, Markus (2013): Einführung: Ist alle Politik lokale Politik? In: van Deth,Jan W.; Tausendpfund, Markus [Hrsg.](2013): Politik im Kontext: Ist alle Politik lokale Politik? Wiesbaden, S.9-31
Verba, Sidney; Schlozmann, Kay Lehman, Brady, Henry E. (1995a): Beyond Ses: A Re source Model of Political Participation. In: The American Political Science Review (Vol. 89, Nr. 2 (Jun., 1995)), S. 271–294.
Ergänzende Anmerkungen:
Der vorliegende Blogbeitrag beruht auf der Bachelorarbeit des Autors, welche am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft von Prof. Dr. Achim Goerres und Hayfat Hamidou, M.A. be-treut wurde. Der Titel der Arbeit lautet:
Das Ressourcenmodell politischer Partizipation angereichert: Eine Analyse von Individuen im lokalen Kontext anhand des Allbus 2014 Extended Use File
Innerhalb der Arbeit wurden neben weiteren logistischen Regressionen zu den Partizipationsformen „Wahlbeteiligung“ und „Beteiligung an Unterschriftensammlungen“ auch Interaktionen zwischen Variablen des Ressourcenmodells und Variablen des Kreisebenenmodells berechnet, um die Erkenntnisse stärker validieren zu können. Die Interaktionen bestätigen den Befund, dass das Ressourcenmodell relativ robust gegenüber einer Hinzunahme von Kontextvariablen ist.
Zusätzlich zu den Interaktionen fanden Regressionsdiagnostiken für die Gesamtmodelle Anwendung, aus denen einige Verbesserungsmöglichkeiten für nachfolgende Arbeiten hervorgehen.