Am Anfang des Regenbogens? Das linksliberale Profil der LGBTIQ+ Wähler:innen

L. Constantin Wurthmann

Angehörige der LGBTIQ+ Community werden zu einem immer sichtbarer werdenden Teil westlicher Gesellschaften – und damit explizit auch zu einem entsprechend sichtbareren Elektorat, welches Wahlen maßgeblich beeinflussen kann. So gehen Schätzungen davon aus, dass sich rund zehn Prozent der Gesellschaft als Lesbisch (L), Schwul (G), Bisexuell (B), trans* (T), inter (I) oder auch Queer (Q) identifizieren.

Lange konstatierte die empirische Sozialforschung eine abnehmende Bedeutung der Zugehörigkeit zu spezifischen sozialen Gruppen. Vor allem religiösen Kirchgänger:innen oder auch gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen galt viel Aufmerksamkeit, die sich aufgrund des numerischen Rückgangs dieser sozialen Gruppen im Zeitverlauf schmälerte. Insbesondere in den vergangenen Jahren hat sich diese Herangehensweise den reellen gesellschaftlichen Gegebenheiten wieder ein Stück weit angepasst. Unterschiede im politischen Verhalten von Frauen und Männern, Migrant:innen, ethnischen Minderheiten sowie sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten rückten stärker in den Fokus.

Vor dem Hintergrund, dass Angehörige der LGBTIQ+ Community jahrzehntelanger Verfolgung und Unterdrückung ausgesetzt waren, ist es kaum verwunderlich, dass die Datenlage zu dieser Wähler:innengruppe weiterhin prekär ist. Einerseits zurückzuführen ist dies auf Hemmungen, sich in sozialwissenschaftlichen Befragungen als Angehörige dieser Gruppe zu erkennen zu geben. Andererseits, was der weitaus einschlägigere Grund ist, ist an dieser Stelle besonders darauf hinzuweisen, dass nur wenige Befragungen bisher überhaupt die sexuelle Identität erfassen.

Dennoch nimmt die Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die sich dem Wahlverhalten und den politischen Einstellungen der LGBTIQ+ Community widmen, stetig zu. Diese zeigen sehr eindrücklich, welche Relevanz dieses noch nicht lange sichtbare Elektorat hat. Zunächst ist auf Basis der vorliegenden Befunde zu konstatieren, dass – je nach Zusammensetzung eines entsprechenden Parteiensystems – LGBTIQ+ Wähler:innen überproportional stark für linke, sozialdemokratische, grüne und liberale Parteien votieren. Dies ist allerdings keineswegs nur darauf zurückzuführen, dass diese in den vergangenen Jahrzehnten besonders progressive Positionen mit Blick auf die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten vertreten haben. In der Tat weisen einige Studien darauf hin, dass LGBTIQ+ Individuen überproportional stark sozio-ökonomisch linke Positionen vertreten, welche insbesondere in diesem Spektrum zu finden sind. Gleichwohl bleibt vor allem die kulturelle Nähe ausschlaggebend für diese soziale Gruppe.

Betrachtet man die vorliegenden Befunde aus den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich, Kanada und auch Deutschland, so zeigt sich, wie durchschlagend die sexuelle Identität etwa für das Wahlverhalten ist.

In Deutschland gaben anlässlich der Bundestagswahl 2021 34,9 Prozent der Befragten aus dieser Gruppe an, Bündnis 90/Die Grünen wählen zu wollen. Weitere 11,4 Prozent signalisierten dies für Sozialdemokraten und 13,4 Prozent für die Linke, weitere 12,7 Prozent für die Liberalen. Demgegenüber war eine Wahlabsicht für die CDU/CSU bei 14,8 Prozent und für die AfD bei 10,7 Prozent festzustellen.

 Alle Wähler:innenLGBTIQ-Wähler:innenDifferenz
SPD17,5 %11,4 %-6,1
CDU/CSU21,9 %14,8 %-7,1
B`90/Grüne22,7 %34,9 %+12,1
AfD11,8 %10,7 %-1,1
FDP11,2 %12,8 %+1,6
Linke8,7 %13,4 %+4,7
Andere6,2 %2,0 %-4,2
Anmerkung: Die angegebenen Werte für die Gesamtwähler:innenschaft entsprechen den Werten, die Anfang bis Mitte August 2021 auch durch das Forschungsinstitut Kantar ausgewiesen wurden.

Allerdings haben Parteien der radikalen Rechten Schwule, Lesben und Bisexuelle zuletzt als relevante Wähler:innengruppe identifiziert. Erste Befunde deuten darauf hin, wie diese Parteien aktiv um Stimmen dieser Wähler:innen werben. Beispielsweise versuchen sie Ressentiments in dieser Gruppe gegen eine vermeintlichen Bedrohung durch Zuwanderung aus muslimischen Ländern anzusprechen – eine Botschaft, die bisweilen zu verfangen beginnt. Solche Beobachtungen konnten etwa in den Niederlanden für die rechtspopulistische PVV gemacht werden. Die Solidarität mit anderen Marginalisierten scheint demnach zu enden, wenn das Wohlergehen oder bereits erreichte Ziele der eigenen sozialen Gruppe gefährdet sein könnten. Ein Befund, welcher keineswegs nur für Angehörige der LGBTIQ+ Community gilt, sondern mitunter für alle vergleichbaren Gruppen feststellbar ist. Ein wichtiger Befund, wenn man bedenkt, dass Angehörige der LGBTIQ+ Community überproportional häufig wählen gehen – und Allianzen mit dem links-liberalen Spektrum nicht notwendigerweise in Stein gemeißelt sind.

Literaturhinweise

Adamczyk, A., & Pitt, C. (2009). Shaping attitudes about homosexuality: The role of religion and cultural context. Social Science Research38(2), 338-351.

Guntermann, E., & Beauvais, E. (2022). The Lesbian, Gay and Bisexual Vote in a More Tolerant Canada. Canadian Journal of Political Science/Revue canadienne de science politique55(2), 373-403.

Hertzog, M. (1996). The lavender vote: Lesbians, gay men, and bisexuals in American electoral politics. NYU Press.

Spierings, N., Lubbers, M., & Zaslove, A. (2020). ‚Sexually modern nativist voters‘: do they exist and do they vote for the populist radical right?. In Gender and the Radical and Extreme Right (pp. 84-105). Routledge.

Tremblay, M. (Ed.). (2019). Queering representation: LGBTQ people and electoral politics in Canada. UBC Press.

Turnbull-Dugarte, S. J. (2021). Multidimensional issue preferences of the European lavender vote. Journal of European Public Policy28(11), 1827-1848.

Turnbull-Dugarte, S. J. (2022). Who wins the British lavender vote? (Mostly) Labour. Politics, Groups, and Identities10(3), 388-409.

Turnbull-Dugarte, S. J., & Townsley, J. (2020). Political engagement and turnout among same-sex couples in Western Europe. Research & Politics7(4), 2053168020976952.

Wurthmann, L. C. (2023). German gays go green? Voting behaviour of lesbians, gays, and bisexuals in the 2021 German federal election. Electoral Studies81, 102558.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert